UN-Bericht: Pandemiejahr verschärft Hunger weltweit (2024)

Rom/New York/Köln, den 12. Juli 2021 // Wie die Vereinten Nationen heute mitteilten, hat sich der Hunger weltweit im Jahr 2020 dramatisch verschlimmert – ein Großteil davon hängt wahrscheinlich mit den Folgen von Covid-19 zusammen. Laut dem UN-Bericht war im vergangenen Jahr schätzungsweise ein Zehntel der Weltbevölkerung – bis zu 811 Millionen Menschen – unterernährt. Diese Zahl lässt ahnen, dass enorme Anstrengungen nötig sein werden, um den weltweiten Hunger bis 2030 zu beenden.

Die diesjährige Ausgabe des UN-Berichts „Die Situation der Nahrungssicherheit und Ernährung in der Welt“ ist die erste globale Studie dieser Art in der Zeit der Pandemie. Der Bericht wird gemeinsam von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), dem UN-Welternährungsprogramm (WFP) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht.

Die UN-Organisationen hatten bereits in vorherigen Berichten davor gewarnt, dass die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen – darunter viele Kinder – auf dem Spiel steht. „Leider legt die Pandemie immer wieder Schwachstellen in unseren Ernährungssystemen offen, die das Leben und die Lebensgrundlagen von Menschen auf der ganzen Welt bedrohen“, schreiben die Leiter*innen der fünf UN-Organisationen in ihrem Vorwort.

Sie warnen vor einem „kritischen Wendepunkt“, setzen jedoch Hoffnung auf verstärkte diplomatische Anstrengungen. „Dieses Jahr bietet mit dem bevorstehenden UN Food Systems Summit, dem Nutrition for Growth Summit und der UN-Klimakonferenz COP26 eine einmalige Gelegenheit, die Ernährungssicherheit und den Ernährungszustand durch die Umgestaltung der Ernährungssysteme zu verbessern. Die Ergebnisse dieser Veranstaltungen werden die zweite Hälfte der UN-Dekade für Ernährung prägen“, so die Leiter*innen der fünf UN-Organisationen.

Die Zahlen im Detail

Seit Mitte der 2010er-Jahre ist die Zahl der an Hunger leidenden Menschen kontinuierlich angestiegen und hat die Hoffnung auf einen bleibenden Rückgang zunichtegemacht. Besonders besorgniserregend ist, dass die Zahl der an Hunger leidenden Menschen im vergangenen Jahr sowohl absolut als auch proportional angestiegen ist – und das schneller als die Bevölkerung zunahm: Schätzungsweise 9,9 Prozent aller Menschen waren im vergangenen Jahr unterernährt, verglichen mit 8,4 Prozent im Jahr 2019.

Mehr als die Hälfte der unterernährten Menschen (418 Millionen) leben in Asien, mehr als ein Drittel (282 Millionen) in Afrika und ein kleinerer Anteil (60 Millionen) in Lateinamerika und der Karibik. Prozentual gesehen verzeichnet Afrika den stärksten Anstieg von Hunger – mit schätzungsweise 21 Prozent ist der Anteil der unterernährten Menschen dort mehr als doppelt so hoch wie in jeder anderen Region.

Auch andere Indikatoren für 2020 zeichnen ein düsteres Bild: Insgesamt hatten mehr als 2,3 Milliarden Menschen (oder 30 Prozent der Weltbevölkerung) nicht das ganze Jahr über Zugang zu angemessener Nahrung. 2020 ist die Prävalenz von moderater oder schwerer Ernährungsunsicherheit so stark angestiegen wie in den vergangenen fünf Jahren zusammen. Zudem nahmen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu: Auf 10 Männer, die unter Nahrungsunsicherheit litten, kamen 11 Frauen (verglichen mit 10,6 im Jahr 2019).

Mangelernährung in all ihren Formen bleibt weiterhin verbreitet – Kinder zahlen dafür einen hohen Preis: Im Jahr 2020 waren schätzungsweise 149 Millionen Kinder unter fünf Jahren wachstumsverzögert (engl. „stunted“), das heißt zu klein für ihr Alter; mehr als 45 Millionen waren ausgezehrt (engl. "wasted") und hatten ein zu geringes Gewicht für ihre Körpergröße. Weitere 39 Millionen Kinder waren übergewichtig.

Drei Milliarden Menschen konnten sich im Jahr 2020 nicht gesund ernähren, größtenteils, weil Nahrungsmittel zu teuer und damit nicht erschwinglich waren. Fast ein Drittel der Frauen im gebärfähigen Alter litt an Blutarmut. Trotz einiger Fortschritte ist die Welt nicht auf dem Weg, die nachhaltigen Entwicklungsziele zur Beendigung von Hunger zu erreichen.

Weitere Ursachen für Hunger und Mangelernährung

In vielen Teilen der Welt hat die Pandemie schwere Rezessionen ausgelöst und den Zugang zu Nahrung erschwert. Doch schon zuvor litten immer mehr Menschen an Hunger und die Fortschritte bei der Bekämpfung der Mangelernährung kamen nur langsam voran. Dies gilt umso mehr für Länder, die von Konflikten, Klimaextremen oder weiteren wirtschaftlichen Herausforderungen betroffen sind oder gegen große Ungleichheiten ankämpfen.

Laut dem UN-Bericht wird die internationale Gemeinschaft bei aktuellen Trends Ziel 2 der nachhaltigen Entwicklungsagenda um rund 660 Millionen Menschen verfehlen. 30 Millionen davon könnten auf die Auswirkungen der Pandemie zurückzuführen sein.

Aufruf zum Handeln

Wie bereits im UN-Bericht des Vorjahres dargelegt müssen Ernährungssysteme umgestaltet werden, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten und allen Menschen eine gesunde Ernährung zu ermöglichen. Der diesjährige Bericht skizziert sechs „Transformationspfade“. Diese, so die Autoren, beruhen auf einer „kohärenten Reihe von politischen Maßnahmen und Investitionen“, um den Ursachen von Hunger und Mangelernährung entgegenzuwirken.

Abhängig von den Ursachen von Hunger in dem jeweiligen Land fordert der Bericht die Regierungen dazu auf:

- Humanitäre, entwicklungspolitische und friedensfördernde Maßnahmen in Konfliktgebieten zu integrieren: Soziale Sicherungsprogramme etwa sollen verhindern, dass Familien ihren geringen Besitz für Nahrungsmittel verkaufen müssen;

- Die Klimaresilienz im gesamten Nahrungssystem zu erhöhen: So sollte zum Beispiel Kleinbauern ein breiter Zugang zu Klima-Risikoversicherungen und prognosebasierter Finanzierung ermöglicht werden;

- Die Widerstandsfähigkeit der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen in wirtschaftlichen Notlagen zu stärken: So können Bargeldhilfen die Auswirkungen von Schocks oder Preisschwankungen verringern;

- Interventionen entlang der Versorgungsketten zu fördern, um die Kosten für nahrhafte Lebensmittel zu senken: Zum Beispiel sollen der Anbau von biofortifizierten Nutzpflanzen gefördert oder der Marktzugang für Obst- und Gemüsebauern erleichtert werden;

- Armut und strukturelle Ungleichheiten zu bekämpfen: So sollten beispielsweise Lebensmittel-Wertschöpfungsketten in armen Gemeinden durch Technologietransfer und Zertifizierungsprogramme gefördert werden;

- Das Ernährungsumfeld zu stärken und das Verbraucherverhalten zu ändern: So sollten Salz- oder Zuckergehalt in Lebensmitteln reduziert und Kinder vor negativen Auswirkungen des Lebensmittelmarketings geschützt werden.

Der Bericht fordert darüber hinaus ein unterstützendes Umfeld aus Steuerungsmechanismen und Institutionen, die diesen wichtigen Wandel ermöglichen. Er fordert von Regierungen, sich umfassend zu beraten, Frauen und junge Menschen zu stärken sowie Daten und neue Technologien zugänglich zu machen. Vor allem aber müsse die Welt sofort handeln – oder zusehen, wie die Ursachen von Hunger und Mangelernährung in den kommenden Jahren mit zunehmender Intensität zurückkehren, lange nachdem der Schock der Pandemie vorüber ist.

Service für Redaktionen

» Kostenfreier Download: Der englischsprachige Report "The State of Food Security and Nutrition in the World 2021"

UN-Bericht: Pandemiejahr verschärft Hunger weltweit (2024)

FAQs

UN-Bericht: Pandemiejahr verschärft Hunger weltweit? ›

Wie aus dem Welternährungsbericht der Vereinten Nationen (UN) hervorgeht, steigt die Zahl der hungernden Menschen auf der Welt. Insgesamt litten im vergangenen Jahr 735 Millionen Menschen unter zu wenig Nahrung – 122 Millionen mehr als vor der Corona-Pandemie.

Warum gibt es noch Hunger auf der Welt? ›

Krieg, Naturkatastrophen und schlechte Regierungsführung

Hunger wird also nach wie vor nicht durch eine globale Knappheit an Lebensmitteln verursacht. Hunger trotz Überfluss entsteht vor allem durch eine Vielzahl menschgemachter Bedingungen, die durch den bereits spürbaren Klimawandel noch verschärft werden.

Wie viele Menschen auf der Welt leiden an Hunger? ›

735 Millionen Menschen weltweit galten im Jahr 2022 als unterernährt. Das entsprach rund 9 % der Weltbevölkerung. 93 % der betroffenen Menschen lebten in Asien und Afrika.

Wie viele verhungern jährlich? ›

Als Welthunger wird die Situation beschrieben, dass viele Menschen auf der Welt nicht genügend Nahrungsmittel zur Verfügung haben. Jährlich sterben weltweit etwa 9 Millionen Menschen an Hunger.

Wie viel würde es kosten den Welthunger zu stoppen? ›

💰 Einer Studie des "International Institute for Sustainable Development" zufolge bräuchte es bis 2030 jedes Jahr mindestens weitere 14 Milliarden Euro an Spenden, um den Welthunger einzudämmen. 🤔 Viele Ursachen für den Welthunger lassen sich allerdings ohnehin nicht direkt mit Geld- oder Lebensmittelspenden beheben.

Warum in letzter Zeit so viel Hunger? ›

Wenn deine Gedanken immer wieder rund um dein Hungergefühl kreisen, können sich folgende Hauptursachen dahinter verbergen: Defizit an Nährstoffen oder Energie. körperliche Erkrankung. psychische Belastung oder Erkrankung.

Wie könnte man den Welthunger beenden? ›

Die Vereinten Nationen hatten mit ihrem Programm "Zero Hunger" das Ziel ausgegeben, den Hunger weltweit bis 2030 zu beenden. Doch in dieser Hinsicht gibt es kaum noch Fortschritte, heißt es im Welthunger-Index 2022. Blieben grundlegende Veränderungen aus, werde das Ziel nicht erreicht.

Wo ist der Hunger am größten? ›

Die meisten Menschen hungerten in der Demokratischen Republik Kongo, Afghanistan, Äthiopien und dem Jemen. In Äthiopien, Madagaskar, dem Südsudan und dem Jemen waren 2021 insgesamt 570.000 Menschen vom Hungertod bedroht: viermal so viele wie 2020.

Was lässt den Hunger verschwinden? ›

Eine bewusste, ausgewogene und regelmäßige Ernährung mit Ballaststoffen und Proteinen kann Heißhungerattacken vorbeugen und entgegenwirken. Drei sättigende Mahlzeiten am Tag halten die Gelüste im Zaum. Sollte doch der Heißhunger kommen, trinkt man zunächst ein großes Glas Wasser.

Welches Land ist am meisten von Hunger betroffen? ›

Am stärksten von Hunger und Unterernährung betroffene Länder nach dem Welthunger-Index 2023
MerkmalIndexwert
Zentralafrikanische Republik42,3
Madagaskar41
Jemen39,9
Dem. Rep. Kongo35,7
9 more rows
Oct 12, 2023

Wie viele Menschen sterben jeden Tag an Hunger? ›

Alle dreizehn Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger. 735 Millionen Menschen hungern – dabei gibt es genug Nahrung, Wissen und Mittel für alle. Mehr noch: Alle Menschen haben ein Recht auf Nahrung.

Wie lange dauert es bis man keinen Hunger mehr hat? ›

Wie lange du ohne Nahrung überleben könntest, hängt von deinem Alter, Körperbau und Gesundheitszustand ab. Ohne Nahrung sind theoretisch etwa 30 bis 50 Tage möglich, ohne Wasser hingegen nur drei bis vier Tage. Nach vier bis fünf Tagen ohne Nahrung leidet unser Körper deutlich und schaltet in eine Art Winterschlaf.

Was kann man gegen den Hunger in der Welt tun? ›

Lokale, klimaangepasste und nachhaltige Landwirtschaft ist der beste Schutz vor den Schwankungen des Weltmarkts, die immer wieder Millionen Menschen in den Hunger treiben. Schulspeisungen sind dabei ein Schlüssel für gute Entwicklung vor Ort, der Ernährungs- und Agrarsysteme insgesamt verändern kann.

In welchem Land Leben die meisten untergewichtigen Menschen? ›

Mit durchschnittlich 233,9 Millionen unterernährten Menschen war Indien im Zeitraum zwischen 2020 und 2022 das Land mit den meisten von Hunger und Unterernährung betroffenen Menschen. Weltweit litten in diesem Jahr rund 725,1 Millionen Menschen an Unterernährung.

Was sind die Ursachen für Hunger? ›

Kurzum: Viele arme Menschen hungern und ihr Hunger hält sie in der Armutsfalle gefangen.
  • Klima und Wetter. ...
  • Krieg und Vertreibung. ...
  • Instabile Märkte. ...
  • Fehlende Investitionen in die Landwirtschaft. ...
  • Nahrungsmittelverschwendung.
Aug 1, 2017

Warum gibt es immer noch Hungersnöte? ›

Weltweit leiden Menschen Hunger. Ein Grund: Das Land ist sehr ungleich verteilt und wird immer knapper. Dabei sind kleinbäuerliche Produzent*innen gleich mehrfach benachteiligt: Ihre Anbaufläche ist sehr klein und ihr Risiko, durch sogenanntes Landgrabbing vertrieben zu werden, ist hoch.

Was sind die Ursachen von Hunger? ›

Eine Hungersnot entsteht dann, wenn Ursachen, die weltweit für Hunger sorgen, sich entweder akkumulieren oder im Einzelnen zuspitzen. So kann eine Region wie beispielsweise Somalia in Ostafrika gleichzeitig von einem Krieg und gravierenden Ernteausfällen betroffen sein.

Wieso haben manche Menschen mehr Hunger? ›

Manche Erkrankungen steigern das Hungergefühl. Ständiges Hungergefühl kann auch auf eine Schilddrüsenüberfunktion zurückzuführen sein. Hier erhöht sich der Stoffwechsel und somit auch der Energiebedarf. So musst du mehr essen, um den erhöhten Energiebedarf zu decken und nicht unter ständigem Hungergefühl zu leiden.

Woher kommt unser Hunger? ›

Ein wesentlicher Auslöser von Hunger ist nach aktuellem Forschungsstand das Glucoseniveau im Blut; dieser Wert wird von Rezeptoren in Leber und Magen an den Hypothalamus im Zwischenhirn gemeldet, in dem sich ein Hungerzentrum und ein Sättigungszentrum befinden. Bei Hypoglykämie werden Hungerreize ausgelöst.

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Author: Jamar Nader

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